Die Deutsche UNESCO-Kommission

  1. begrüßt, dass Deutschland und die Europäische Union ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen als Vertragsparteien des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von 2005 proaktiv nachkommen und dabei medien-, kultur-, und bildungspolitische Belange bei der Verhandlung von Handelsabkommen dezidiert berücksichtigen;
  2. begrüßt, dass das Europäische Parlament in seiner TTIP-Resolution vom 8. Juli 2015 den Bereich umfassend definiert hat, der kultur-, medien- und bildungspolitisch in Hinblick auf die Handelspolitik einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf;
  3. weist darauf hin, dass die Gleichwertigkeit und die Verbindlichkeit völker- und handelsrechtlicher Abkommen in vollem Umfang anzuerkennen ist, insbesondere in Hinblick auf das GATS und die kultur- und medienpolitischen Zielsetzungen des genannten UNESCO-Übereinkommens;
  4. fordert, dass angesichts des erklärten Modellcharakters des geplanten TTIP-Abkommens im Vertragstext in Hinblick auf die Kultur- und Medienpolitik in klarer Weise auf die in der EU und den USA geltenden Wertekataloge Bezug genommen werden kann, um eine wertebasierte Regulierungsautonomie abzusichern; für die EU bezieht sich dies insbesondere auf Artikel 2 und 3 des Vertrags über die Europäische Union und die EU-Grundrechte-Charta sowie  auf die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten;
  5. weist darauf hin, dass die technologische Konvergenz globale Konzentrationsprozesse fördern und damit die Wertschöpfungsketten eigenständiger nationaler Kulturwirtschaften beeinträchtigen kann;
  6. stellt fest, dass die Dynamik technologischer Konvergenz die in Vertragstexten benutzten Kategorien vor neue Herausforderungen stellt und als Konsequenz sicher gestellt werden muss, dass gesellschaftlich gewünschte kultur- und medienpolitische Gestaltungsräume nicht durch die benutzte Nomenklatur fälschlich festgeschrieben werden;
  7. fordert angesichts der Tatsache, dass Handelsverträge bereits heute zwischen Digitalwirtschaften abgeschlossen werden, dass das Prinzip der Technologieneutralität zu einem Grundprinzip des TTIP-Vertrags gemacht wird, damit Regulierungen zielorientiert fortentwickelt werden können;
  8. lehnt Negativlisten ab und begrüßt in diesem Zusammenhang, dass EU-Kommissarin Malmström, in Abänderung der bisherigen Verhandlungsposition, die Nutzung von entwicklungsoffenen "positiven Angebotslisten" grundsätzlich befürwortet;
  9. fordert auch angesichts der Tatsache, dass die USA der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt nicht beigetreten sind, dass im TTIP-Vertrag in allen relevanten Kapiteln normativ wirksame kultur-, medien- und bildungspolitische Schutzansätze verankert werden;
  10. weist darauf hin, dass die weitreichenden Auswirkungen, die ein solches Abkommen für die kulturelle Infrastruktur sowie für das Medien-, Kultur-, Wissenschafts- und Bildungsangebot in Deutschland haben kann, weiterhin einer informierten und breiten gesellschaftlichen sowie politischen Debatte bedürfen und nicht ausschließlich einer wirtschaftspolitischen Betrachtung unterworfen werden dürfen;
  11. fordert die deutsche Politik auf, sich unmissverständlich für rechtlich wirksame Schutzmechanismen im Sinne einer technologieneutralen Weiterentwicklung von Regulierung zur Sicherung der Informations- und Meinungsvielfalt, des Medienpluralismus sowie der sprachlichen und kulturellen Vielfalt auszusprechen und sich dafür in den kommenden Verhandlungsrunden einzusetzen.

Kontext

Bei den TTIP Verhandlungen geht es wesentlich um die Vereinheitlichung von Regeln in einem transatlantischen Wirtschaftsraum. Bei Kultur und Medien und somit bei Kultur- und Medienpolitik geht es hingegen grundsätzlich um Schutz und Förderung von Vielfalt und um die Gestaltung öffentlicher Politik für Vielfältigkeit. Deshalb besteht hier erhöhter Handlungsbedarf im Rahmen dieser Verhandlungen. Fragen der Globalisierung und der technologischen Konvergenz spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Last not least haben diese nordatlantischen Verhandlungen auch Auswirkung auf Kontinente des Südens, wie auf Afrika, Lateinamerika etc. Diese  Perspektive ist in die kritische Bewertung des Stands und der Perspektiven der TTIP-Verhandlungen aus UNESCO-Sicht noch stärker als bisher mit einzubeziehen.

Die Deutsche UNESCO-Kommission (DUK) würdigte bereits vor zwei Jahren die politische und wirtschaftliche Bedeutung der 2013 begonnenen Verhandlungen zur Schaffung eines transatlantischen Freihandelsraums (TTIP). Dabei unterstrich sie den Doppelcharakter kultureller und audiovisueller Dienstleistungen als Kultur- und Wirtschaftsgut und die Notwendigkeit, diesem Verständnis entsprechend Politiken weiterentwickeln zu können. Die DUK forderte dabei ebenfalls, dass die Bundesrepublik im TTIP-Kontext allen weiteren relevanten völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommt, namentlich dem UNESCO-Übereinkommen von 2005 zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Dies gilt ebenfalls für die EU-Kommission als Verhandlungsführerin.

Kurz danach bezog das Europäische Parlament eindeutig Stellung: In seiner Resolution vom 23. Mai 2013 zur Erteilung des Verhandlungsmandats an die Europäische Kommission durch die Mitgliedstaaten beschlossen die Abgeordneten, die Ausklammerung von Diensten mit kulturellen oder audiovisuellen Inhalten, auch online, im Verhandlungsmandat eindeutig festzuhalten, um die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der EU auch künftig zu sichern und zu entwickeln (Beschluss in getrennter Abstimmung, 381 Stimmen dafür, 191 Gegenstimmen, 17 Enthaltungen).

Die Mitgliedstaaten folgten diesem Votum des EP in dem Mandat, das sie der Kommission am 14. Juni 2013 erteilten: In Hinblick auf die audiovisuellen Dienstleistungen wurde eine Bereichsausnahme vereinbart; in Bezug auf den Kultursektor wurde die explizite Regulierungsfreiheit unter Bezug auf das UNESCO-Übereinkommen von 2005 bestätigt.

Im Lichte der seit zwei Jahren geführten Verhandlungen bekräftigten die Mitglieder des Europäischen Parlaments in ihrer jüngsten Resolution am 8. Juli 2015 erneut ihre Haltung: Sie sprachen sich mit sehr großer Mehrheit (436 Stimmen dafür, 241 Gegenstimmen, 32 Enthaltungen) unmissverständlich für rechtsverbindliche Schutzklauseln in Verbindung mit der technologieneutralen Weiterentwicklung von Regulierungsmaßnahmen aus, und zwar gleichermaßen in Bezug auf audiovisuelle wie auf kulturelle Dienstleistungen und Güter. Dies entspricht auch der Forderung der Länder sowie von Staatsministerin Prof. Monika Grütters.

Die DUK begrüßt diese konsistente Haltung der Europarlamentarier mit Nachdruck. Die Abgeordneten haben hiermit eine klare rote Linie aufgezeigt: das EP muss am Ende der Verhandlungen dem TTIP-Vertrag zustimmen, so wie die Mitgliedstaaten ihrerseits in Hinblick auf die Kultur- und Medienbereiche einstimmig zustimmen müssen. Da es sich bei dem künftigen TTIP-Vertrag um einen gemischten Vertrag handelt, müssen in Deutschland wiederum sowohl der Bundestag als auch die Länder über den Bundesrat zustimmen, bevor der ausgehandelte Vertragstext in Kraft treten kann.

Auch wenn die Europäische Kommission in jüngster Zeit mehrfach bekräftigt hat, dass auch "neue" audiovisuelle Dienstleitungen nicht verhandelbar seien, und wichtige Klarstellungen vorgenommen hat – wie etwa zu der möglichen Nutzung des "Positivlistenansatzes" –, steht die Zielsetzung, die kulturelle und mediale Vielfalt im Rahmen von TTIP umfassend zu berücksichtigen, weiter vor Herausforderungen. Die USA weigern sich weiterhin, wie schon seit Jahrzehnten, bestimmte kultur- und gesellschaftspolitische Politiken als Leitprinzipien anzuerkennen. Vor allem aber stehen die USA der Anwendung kulturpolitischer Zielsetzungen auf alle (technisch möglichen) Verbreitungswege von Inhalten skeptisch gegenüber.

Für die DUK steht daher außer Frage, dass das TTIP-Vertragsprojekt, das beabsichtigt, weltweite Standards setzen zu wollen, die Europäischen Regulierungswerte und -ziele als Minimum in Form von Regulierungsfreiheit absichern muss. Es muss damit auf jeden Fall sichergestellt werden, dass der endgültige Vertragstext das in Europa entwickelte Regulierungsmodell nicht langfristig unterminiert. Auch in Zukunft muss es in Europa möglich sein, dieses Regulierungsmodell fortzuentwickeln, um kulturelle und mediale Vielfalt zu sichern und zu fördern.