Was bedeutet inklusive Bildung im Sinne der UNESCO?
Das Menschenrecht auf Bildung besagt, dass jeder Mensch Recht auf hochwertige Bildung während des gesamten Lebens hat. Inklusive Bildung bedeutet, dass die Talente und Bedürfnisse jedes Einzelnen berücksichtigt werden, dass alle Lernenden gemeinsam lernen und dass alle Menschen in der Verwirklichung ihres Potentials individuell gefördert werden.
Alle Menschen können lernen und jeder Mensch hat einzigartige Eigenschaften, Interessen, Fähigkeiten und Lernbedürfnisse. Inklusive Bildung geht darauf ein und legt zugleich besonderes Augenmerk auf Lernende, die von Marginalisierung bedroht sind oder besondere Bedarfe haben. Durch gemeinsames Lernen, individuelle Förderung und Unterstützung durch multiprofessionelle Teams werden nicht nur Individuen, sondern die Bildungsqualität aller Lernenden gefördert. Alle Lernenden profitieren von Inklusion. Die Deutsche UNESCO-Kommission hat 2017 die Resolution „Für eine inklusive Bildung in Deutschland“ verabschiedet (Link zur Resolution). Darin ruft sie zu einer systematischen Umsetzung inklusiver Bildung im deutschen Bildungssystem, lebenslang sowie in formalen und non-formalen Kontexten, auf.
Inklusion als Prozess geht auf die Diversität der Bedürfnisse aller Lernenden ein und antwortet auf sie, indem sie die Beteiligung am Lernen, Kulturen und Gemeinschaften erhöht und Ausgrenzung innerhalb von und aus der Bildung verringert. Inklusion umfasst Veränderungen und Anpassungen von Inhalten, Ansätzen, Strukturen und Strategien, mit einer gemeinsamen Vision, die alle Kinder der entsprechenden Altersgruppe umfasst, und in der Überzeugung, dass es Aufgabe des regulären Bildungssystems ist, alle Kinder zu unterrichten. (UNESCO-Guidelines for InclusionExterner Link:, S. 13)
Ungleichheiten in der Bildung weltweit
Millionen von Menschen weltweit können trotz erheblicher systemischer Fortschritte in den letzten zehn Jahren ihr Menschenrecht auf Bildung nicht wahrnehmen. Viele werden auf Basis ihrer Geschlechtszugehörigkeit, sexuellen Orientierung, ethnischen oder sozialen Herkunft, Flucht- oder Migrationsgeschichte, Sprache, Religionszugehörigkeit, Nationalität, wirtschaftlicher Lage oder Behinderung von einer hochwertigen Bildung ausgeschlossen oder haben schlechtere Bildungschancen.
Einer von fünf jungen Menschen weltweit ist gänzlich von Bildung ausgeschlossen – dies dokumentiert der jährliche UNESCO-Weltbildungsbericht. Er identifiziert auch Gründe für Ungleichheit und Exklusion: Armutsbetroffenheit, Wohnort, Geschlecht, Sprache, Behinderung, Religion und Migrationsstatus zählen zu den wichtigsten Faktoren für fehlende Bildungschancen. Eine große Zahl von Kindern hat keinen Zugang zu Bildung in einer Sprache, die sie verstehen, und Kinder mit Behinderungen sind nach wie vor in besonders hohem Maße vom Schulbesuch ausgeschlossen. Drei Viertel aller Kinder im Grundschulalter, die nie eine Schule besuchen werden – 9 Millionen – sind Mädchen. Der weltweite Anstieg der Zahl von Kindern mit Migrations- oder Fluchtgeschichte ist eine wichtige Herausforderung für die Inklusion in die nationalen Bildungssysteme.
Chancengerechtigkeit als zentrale Herausforderung im deutschen Bildungssystem
Dem deutschen Bildungssystem gelingt es seit Jahrzehnten nicht, bestehende starke Bildungsungleichheiten hinreichend zu reduzieren; dies ist der einhellige Befund aller nationalen und internationalen Bildungsberichte. Für Bildungserfolg gibt es verschiedene Risikofaktoren, die empirisch nachweisbar zu Bildungsbenachteiligung führen können. Dazu gehören ein niedriger sozioökonomischer Status, Eltern mit niedrigem Bildungsstand, Behinderungen oder Förderbedarfe im Bereich „Lernen, Sprache, Emotionale und soziale Entwicklung“ (LES) sowie familiäre oder individuelle Flucht- oder Migrationsgeschichte. Diese Faktoren für den Bildungserfolg überschneiden sich vielfach. Inklusive Bildung ist die Antwort auf den enormen Handlungsbedarf aufgrund fortbestehender Bildungsungleichheiten. Sie rückt die individuellen Förderbedarfe aller Lernenden in den Mittelpunkt.
Partnerschaft für inklusive Bildung: Robert Bosch Stiftung und Deutsche UNESCO-Kommission
Die Deutsche UNESCO-Kommission setzt sich seit vielen Jahren für die Umsetzung inklusiver Bildung in Deutschland ein. In 2022 ist sie eine strategische Partnerschaft mit der Robert Bosch StiftungExterner Link: eingegangen, um die Förderung inklusiver Bildung in Deutschland weiter voranzubringen. Grundlage ist das weite Inklusionsverständnis, wie es in allen UN- und UNESCO-Dokumenten beschrieben wird, d.h. unter Einschluss aller Menschen, die aufgrund von „Behinderung, Geschlecht, Alter, Wohnort, Armut, ethnischer Zugehörigkeit, Indigenität, Sprache, Religion, Migrationsstatus, sexueller Orientierung, oder geschlechtlicher Identität, Haft, Überzeugungen und Einstellungen“ benachteiligt werden (zitiert aus UNESCO-Weltbildungsbericht 2020).
Die Deutsche UNESCO-Kommission und die Robert Bosch Stiftung arbeiten im Rahmen ihrer Partnerschaft in verschiedenen Formaten wie Informationsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Publikationen zusammen, um Bildungspolitik und Bildungspraxis bei der Umsetzung inklusiver Bildung zu unterstützen.
Agenda Bildung 2030 (SDG 4): Chancengerechte, inklusive und hochwertige Bildung und lebenslanges Lernen
Inklusive Bildung ist Teil der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die die Weltgemeinschaft im Rahmen der Vereinten Nationen in der Agenda 2030 als zentrale Zukunftsaufgaben für die gesamte Menschheit verabschiedet hat.
Das globale Nachhaltigkeitsziel 4 (Sustainable Development Goal 4) lautet: „Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern.“ Die Weltgemeinschaft hat sich verpflichtet, alles dafür zu tun, damit dieses Ziel erreicht wird. Die UNESCO hat die Federführung für die internationale Koordinierung der Umsetzung und für das Monitoring.
Wie setzt sich die UNESCO für die inklusive Bildung im Bildungswesen ein?
Die UNESCO strebt eine inklusive Weiterentwicklung des gesamten Bildungssystems an, statt zu versuchen, Hindernisse und Barrieren jeweils einzeln zu beseitigen. Der Schwerpunkt liegt auf Antworten auf die Frage, wie bestehende Systeme zum Vorteil aller weiterentwickelt werden können - nicht auf die Frage, wie bestimmte Lernende in bestehende Systeme integriert werden können. Die UNESCO fördert Bildungssysteme, in denen alle Kinder und Jugendlichen gemeinsam lernen. In ihrer Resolution von 2017 [Link] unterstützt die Deutsche UNESCO-Kommission für Deutschland die „planvolle Zusammenführung von Förderschulen und allgemeinen Schulen zu einem inklusiven Bildungssystem“. Inklusive Bildungssysteme sollen auf der Gleichstellung der Geschlechter beruhen, unterschiedliche Bedürfnisse, Fähigkeiten und Eigenschaften respektieren und alle Formen der Diskriminierung im Lernumfeld beseitigen.
Die UNESCO unterstützt ihre 194 Mitgliedstaaten bei der Entwicklung und Umsetzung inklusiver Politiken und Programme, um marginalisierten Gruppen eine qualitativ hochwertige Bildung zu bieten. Sie hilft den Regierungen und Partnern bei der Umsetzung der Politik in inklusive Lehrpläne, Pädagogik und Unterricht sowie bei der Gestaltung und Durchführung von Programmen.
Zur Website der UNESCO über inklusive BildungExterner Link:.
Normative Grundlagen
Das Menschenrecht auf Bildung ist auf Ebene der Vereinten Nationen vor allem festgehalten in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in Artikel 13 des UN-Sozialpakts, Artikel 28 und 29 der UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention sowie in staatlichen Verpflichtungen zur Bekämpfung von Diskriminierung, wie sie festgehalten sind in Artikel 10c der UN-Frauenrechtskonvention, Artikel 7 der UN-Konvention gegen rassistische Diskriminierung und Artikel 8 der UN-Behindertenrechtskonvention.
Bildung muss dementsprechend immer auf die „volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten“ gerichtet sein und darauf abzielen eine „nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen“, sowie zu „Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern“ beitragen. Das Menschenrecht auf Bildung umfasst außerdem die universelle und unentgeltliche Grundschulpflicht und die fortschreitende Bereitstellung von allgemeinbildender und berufsbildender Bildung an weiterführenden Schulen.
Detaillierte Vorgaben zur Chancengleichheit in der Bildung enthält das UNESCO-Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen (1960). Unter anderem verbietet das Übereinkommen, „für Personen oder Personengruppen getrennte Unterrichtssysteme oder -anstalten zu schaffen oder zu unterhalten“. Es erfordert, „dass die Bildungsstandards in allen öffentlichen Bildungseinrichtungen der gleichen Stufe gleichwertig sind und dass auch die Bedingungen für die Qualität der vermittelten Bildung gleichwertig sind“. Es fordert die „Förderung und Intensivierung der Ausbildung von Personen, die keine Grundschulausbildung erhalten oder nicht die gesamte Grundschulausbildung abgeschlossen haben, und Fortsetzung ihrer Ausbildung nach Maßgabe ihrer individuellen Fähigkeiten durch geeignete Methoden“. Ebenso fordert es „Ausländern, die im Hoheitsgebiet ansässig sind, den gleichen Zugang zur Bildung zu gewähren wie den eigenen Staatsangehörigen“.
Deutschland ist Vertragsstaat aller dieser Übereinkommen der Vereinten Nationen und der UNESCO. Da Deutschland gegen die genannten bzw. zitierten Artikel keinen Vorbehalt eingelegt hat, sind diese Normen für Deutschland geltendes Recht.